Moderne Glaubensbekenntnisse

Lieber später als nie. Weil ich es im Vorwort versäumt habe, meine Absichtserklärung abzugeben, tue ich das jetzt.

In diesem Text werde ich das weitergeben, was ich durchblickt zu haben glaube. Das ist eine knochenharte Hirnarbeit - ich werde versuchen Phänomene und Zusammenhänge zu beschreiben, die auf die Möglichkeiten des Instruments "Sprache" mitleidvoll herabschauen. Mein Ziel ist es, diese Aufgabe optimal zu erfüllen und eine ungeheuer komplexe Materie in das Prokrustesbett der Sprache zu zwingen.

Wir werden unterwegs fundamentale menschliche Begriffe auf ihre Substanz hin prüfen, solche, wie Realität, Wahrnehmung, Bewusstsein, Universum, Zeit, Materie, Objektivität... Denn ohne gesunde Skepsis den allen damit verbundenen "A priori" gegenüber werden wir im unseren gewohnten Weltbild bis zur Nase stecken bleiben. Und daraus können wir die Zeit nur auf die übliche Art und Weise betrachten.

Wenn ich beim Lesen von einem Autor aufgefordert werde, irgendwelche Denkaufgaben zu lösen, ignoriere ich dies einfach und lese weiter. Ich bitte Sie, keine so faule Socke wie ich zu sein, anders vorzugehen und sich wirklich Zeit zum Nachdenken nehmen. Bei dem Thema sollte man eigentlich. Sie verstehen schon, dieser Text ist nicht zum Vergnügen, sondern zum Kopfrauchen :-)

Jetzt aber. Weltbilder.

Wir, aufgeklärte Zeitgenossen, haben bereits als Kinder einige wissenschaftliche Welterklärungen in die Köpfe implantiert bekommen. Auch wenn es nicht so formuliert wurde wie ich es hier tue, war das in Etwa so gemeint. Hier - ziemlich grob vereinfacht, dafür aber auf den Punkt gebracht:

  • Das Universum besteht im Wesentlichen aus Materie
  • Es gibt keine Intelligenz, welche die Entwicklung des Universums steuert
  • Materie war/ist in der Lage, sich ohne Intelligenz zu erschaffen und zu entwickeln
  • Materie war/ist in der Lage, von alleine immer komplexere Ordnung herzustellen
  • Leben, Bewusstsein und Intelligenz sind zufällige und sekundäre Produkte der Selbstentwicklung der Materie, die auf einen winzigen Teil des Universums beschränkt sind

Diese Annahmen bilden immer noch den Fundament und den Rahmen unserer materialistischen Schulwissenschaft, ihr Mainstream. Es ist jetzt zweitrangig, ob man sie als absurd oder als vernünftig empfindet. Wichtig ist es, zu vergegenwärtigen, dass sie:

- Annahmen und keineswegs Fakten sind,
- Grundsätzlich nicht beweisbar sind,
- Mittlerweile vielen wissenschaftlichen Beobachtungen widersprechen.

Warum bauen wir denn überhaupt darauf? Na ja, irgendwelche Apriori sind zu einer Welterklärung unvermeidlich. Ob das ausgerechnet solche sein müssen, die schon mit dem gesunden Menschenverstand gewisse Anpassungsschwierigkeiten aufweisen, das ist eine andere Frage.

Wenn wir tagtäglich in den Wohnzimmern beobachten, dass die Materie ohne Einwirkung der Intelligenz nicht in Richtung Ordnung, sondern immer und unausweichlich in Richtung Chaos tendiert, dann brauchen wir zunächst mal keinen Zweiten Satz der Thermodynamik, um Big-Bang-Leute und Darwinisten einzuschüchtern. Wir brauchen nur die Frage zu stellen: "Entschuldigung! Womit können Sie denn ihre mutigen Annahmen bestätigen?"

Auf diese erhobene Hand werden wir aber lange warten müssen. How long? Very long. Der Mensch ist zweifellos ein unheimlich unternehmenslustiges Wesen, sein Hang zum intellektuellen Mut hält sich aber in Grenzen. Weltbilderbau delegiert er gerne an "Profis" - sei es Schamanen, Priester oder Physiker.

Legende vom Urknall

Manchmal erlauben sich auch Nobelpreishohe etwas Ketzerisches. "...Warum liegt das Universum so nahe an der Trennungslinie zwischen Rekollabieren und ewiger Expansion?" - fragt sich der "Urknallpapst" Stephen Hawking. "Um ihr so nahe zu sein wie jetzt, muss die Expansionsrate in der Frühzeit des Universums extrem genau eingestellt worden sein. Wäre sie eine Sekunde nach dem Urknall um ein Teil von 1010 kleiner gewesen, hätte das Universum bereits ein paar Millionen Jahre später wieder zu kollabieren begonnen. Wäre die Rate um einen Teil von 1010 größer gewesen, wäre das Universum einige Millionen Jahre später im wesentlichen leer gewesen. In keinem Fall hätte die Zeitspanne ausgereicht, um Leben entstehen zu lassen. Man muss deshalb entweder auf das anthropische Prinzip verweisen, oder eine physikalische Erklärung dafür finden, warum das Universum so ist, wie es ist."

Einspruch, Eurer Ehren. Das eigentliche Problem sind nicht die Anfangsbedingungen, die "unglaublich genau hätten ausgewählt werden müssen." Sondern die gerne verschwiegene Schlüsselfrage nach dem Ursprung aller das Entstehen des Universums regierender Naturgesetze.

Unwahrscheinliche Genauigkeit der vermeintlichen Expansionsgeschwindigkeit, die von Anfang an hätte "ausgewählt" werden müssen, wird natürlich von den Wissenschaftskritikern gerne als Gottesbeweis verwendet. Kein Wunder, selbst hartgesottene Urknaller fühlen sich bei der Sache menschlich betroffen. Stellen Sie sich vor, um ein Hundertmilliardstel (!!!) langsamer oder schneller, und alle "intelligente Beobachter" wären einfach vom Plan gestrichen...

Wir lassen dies allerdings nicht als göttliche Exaktheit gelten. Es gab sie in diesem Zusammenhang ganz einfach nicht. Warum? Weil es keinen Urknall aus einer unendlich dichten Singularität gab. Weil Universum keine präzise berechnete, tote, auseinander fliegende Materie ist.

Es ist ein unerfreulicher Tatbestand, dass wir im Falle vom "Big-Bang" mit einer modernen Theorie zu tun haben, derer philosophische Basis eine extrem versimplifizierte Version Newtonscher Vorstellungen präsentiert. Absolut genaue Startbedingungen der Schöpfung setzen beide Theorien voraus. Der alte Kosmomechaniker hat sich aber den Vorgang so vorgestellt, als konstruierte Gott das gigantische Präzisions-Uhrwerk des Universums und kurbelte es anschließend einmal an.

Das XX. Jahrhundert überbot den großen Physiker und schuf das denkbar mechanistischste Modell der Schöpfung: Explosion. Offensichtliche Ideenlosigkeit bezüglich der Ursachen und Quellen ihrer Gesetzmäßigkeiten bleibt erfolgreich verdrängt. Ich streue mir verbale Asche aufs Haupt: "Oh, Zeiten intellektueller Einfaltigkeit! Oh, Lehren, die WIE und WARUM ignorieren! Oh, Sitten, die solchen Untergang der Urteilskraft zelebrieren!"

Es geht bei dieser "Präzisionsproblematik" keineswegs um die vermeintliche Expansionsrate, sondern um die fundamentalen Naturkonstanten, wie Lichtgeschwindigkeit, Teilchenmassen, Schwerkraftstärke. Woher kommen sie und warum haben sie genau die Werte, die als einzige dieses 3-D Universum ermöglichen? Um klar zu machen: die Naturkonstanten haben sich nicht "eingependelt", das schließen auch Physiker aus. So was kann uns Darwin über schlecht messbare Phänomene erzählen. Naturkonstanten mussten absolut exakt definiert worden sein.

"Aus diesem glücklichen Umstand, - meint unbeeindruckt der Kosmologe John D. Barrow - können wir keine großartigen philosophischen oder theologischen Schlussfolgerungen ziehen. Wir können nicht sagen, dass das Universum im Hinblick auf lebende Beobachter "entworfen" wurde... Wir können lediglich zur Kenntnis nehmen, dass für ein Universum, das lebende Beobachter (oder auch nur Atome oder deren Kerne) enthalten soll, die Naturkonstanten oder zumindest der überwiegende Teil von ihnen Werte haben müssen, die sehr nah bei den beobachteten liegen."

"Lebende Beobachter" gefallen mir persönlich schon etwas besser als intelligente, obwohl ich bisher keinen einzigen toten Beobachter beobachtet habe. Aber irgendwie witzig, nicht wahr? Lebende Beobachter als ungeheuere Konglomerate toter Atome, als unbeabsichtigtes Zufallsprodukt der Explosion... Blinde Natur fliegt aus ungeklärten Gründen auseinander und - zack! - intelligente und sogar lebende Beobachter. Faszinierend...

Ideologische Aufgaben

Wir betrachten unsere Wissenschaft vor allem als eine Art intellektuell fairer und geregelter Auseinandersetzung mit der Realität. Das Phänomen Wissenschaft hat aber auch andere wichtige Aufgaben zu lösen.

So wie jede einzelne Person beim Erlangen der Reifezeit eine Emanzipation von eigenen kindlichen Vorstellungen über Eltern, die Welt und sich selbst durchlaufen soll, so emanzipiert sich auch die Menschheit seit einigen Jahrhunderten von eigenen frühen Visionen über Gott, Universum und Gattung Mensch.

Eine pubertäre Rebellion ist zwar meistens unbequem, sie ist aber zweifellos notwendig. Und sie muss auch radikal genug sein, um die Abnabelung tatsächlich zu vollziehen. Gerade die materialistische Wissenschaft liefert uns ideologische Grundlage für eine globale humane Verselbstständigung. Sie behauptet: Es gibt kein absolutes Bewusstsein und keine übermenschliche Intelligenzen, homo sapiens ist das mächtigste und vernünftigste Wesen der Welt.

Das klingt zuerst einmal antireligiös. Schauen Sie aber, wie viel Glaube hier im Spiel ist: Was für ein verschwindend kleiner Teil wissenschaftlicher Behauptungen überprüft man, um sie zu akzeptieren! Ich persönlich habe weder Erdradius gemessen noch die Formel H2O jemals ernsthaft bezweifelt. Ich glaube einfach, dass andere dies korrekt festgestellt haben. Ich glaube auch, dass mein Glaube gut begründet ist. Genauso geht es Ihnen und jedem Wissenschaftler. Fast alles, was wir über diese Welt zu wissen glauben, wissen wir nicht, sondern tatsächlich glauben.

Das geht so weit, dass wir auch Erkenntnisse, die unseren lebendigen Beobachtungen direkt widersprechen, in unser Weltbild einbauen. Nehmen wir das Kopernikanische System. Es ist in unserem Selbstempfinden so gut verwurzelt, dass wir den orbitalen Flug unseres blauen Planeten um den Stern Sonne beinahe spüren, wobei wir tagtäglich, wie vor Jahrtausenden, die Sonnenscheibe auf- und untergehend über der flachen Erde beobachten. Aber der Glaube an die Richtigkeit des verinnerlichten Kugel-Dreh-Bildes wirkt stärker als tausendfache persönliche Erfahrung.

Es gibt weitere religiöse Züge des wissenschaftlichen Materialismus. Ähnlich wie z.B. christliche Theologie ist auch die Schulwissenschaft antimystisch ausgelegt. Sie bestreitet jede Möglichkeit einer direkten außersinnlichen Erfahrung und erklärt sie für schlicht ungültig. Die Schulwissenschaft versucht unsere geistige Aktivität auf die sinnlich erfahrbare Welt zu beschränken.

Und genau das ist ihre fundamentale Aufgabe in unserem 3-D-Abschnitt menschlicher Evolution. Die Wissenschaft verneint die religiösen Weltbilder nicht nur, vielmehr ersetzt sie jegliche Religion. Der Materialismus füllt diese hart erkämpfte Lücke. Er suggeriert uns drei alternative Basisglauben an:

1. Stofflichkeit, Dinglichkeit, Festigkeit, Materialität des Universums
2. Chronologische Kausalität des Universums
3. Ultimative Wirklichkeit und Einzigkeit des 3-D Universums.

Darüber hinaus wird der interpretierende Mechanismus der Wahrnehmung ignoriert bzw. ausgeblendet, was eine starke Illusion erzeugt, die Welt wäre mit unserem aktuellen Weltbild weitgehend identisch. Somit trägt die materialistische Wissenschaft dazu bei, den Menschen in seiner virtuellen Welt zu verankern, zu festigen, von allerlei verwirrenden Informationen abzuschirmen und eine hohe Konzentration des menschlichen Verstandes auf die 3-D Wirklichkeit zu gewährleisten.

Zusammenfassend können wir die Hauptbotschaft unserer Schulwissenschaft folgendermaßen formulieren: "Mensch, Du bist der Größte, Deine Welt ist die Einzige und Du siehst sie voll und richtig."

.....................................



Zum Anfang
Weiter